Unter der Oberfläche

Zu den Befragungen von Andreas Oskar Hirsch

Das an der Oberfläche vor Augen stehende als frag-würdig erachten, es hinterfragen, aus ungewohnter Perspektive erkunden – Andreas Oskar Hirsch’s Arbeit nimmt stets die Erweiterung von Seh- und Denkgewohnheiten in den Fokus, hinterfragt mittels konzeptuell geprägter Ansätze und ironischer Brechungen Übereinkünfte und ordnet die Dinge neu. Ob in seinen bildnerischen Arbeiten, in Performances, Musik oder Text, sein Interesse gilt der Kommunikation, ihren unterschiedlichen Strategien, ihrer Übersetzung und Übertragung. Es gilt absurden Versuchsaufbauten sowie der Entwicklung bildgebender, klanglicher und performativer Verfahren.

„The Details Made Me Do It“, so der Titel der aktuellen Ausstellung im Kunstverein Leverkusen, bezieht sich auf eine Reihe von sechs Zeichnungen, deren schwarze und rote Linien sich ausnehmen wie die kartographischen Umrisse nicht näher zu bestimmender Länder oder Kontinente. Dominant gesetzt sind an verschiedenen Stellen neben zylinderähnlichen Formen konzentrische Kreise, die uns wie Augen anstarren, beobachten, unserer Bewegung im Raum zu folgen scheinen. Verstärkt durch den Titel, nach dem „die Details es mich haben tun lassen“, kommen rasch Begriffe wie Fremdbestimmung und Überwachung in den Sinn. Und tatsächlich findet sich auf den Zeichnungen exakt dieser Satz in Morsecode, gebildet aus konzentrischen Kreisen – Dits – für die kurzen, und zylinderähnlichen Formen – Dahs – für die langen Signale. Jedes der so verschlüsselten Worte befindet sich auf einem einzelnen Blatt, so dass sich mit dem Satz ein mehrteiliges Tableau ergibt. Frei angeordnet und gestaltet auf der graphischen Ebene, codiert auf der semantischen und lesbar, zumindest für jene, die Morsecode beherrschen. Doch dechiffrierbar sind allein die einzelnen Buchstaben und Wörter; der Satz indes scheint sich einer Deutung zu entziehen. Eine Anspielung auf Sigmar Polkes berühmte „Höhere Wesen befahlen: Rechte obere Ecke schwarz malen…“?

Hirsch beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Morsealphabet, hat diese, wie der Zukunftsforscher Paul Saffo einmal gesagt hat, „tote Sprache des digitalen Zeitalters“ erlernt und experimentiert seither mit dem frühen binären Code, der es im Zeitalter der Telegraphie erstmals möglich machte, mit hoher Geschwindigkeit komplexe Nachrichten über weite Entfernungen zu übermitteln. Und so lassen sich die mit Tusche gesetzten Zeichen denn auch ungeachtet ihrer speziellen Bedeutung innerhalb des Alphabets als Markierungen von Kommunikationszentren lesen, als mögliche Orientierungspunkte innerhalb eines nur flüchtig umrissenen Raumes, als Navigationshilfen, als Mittel der Orientierung in einem unüberschaubaren Ganzen.

Hirsch ist ebenso fasziniert von den technischen Möglichkeiten unserer Zeit wie von einer Verbindung zu dem, was Ursprung und Grundbedingung unserer Existenz darstellt – Natur. Sich an dieser, wie er selbst sagt, „Dualität abzuarbeiten“, ist eine wesentliche Seite seiner künstlerischen Forschung, wobei sich der Begriff der Dualität hier erweitern lässt um diejenige zwischen Schönheit und Abgründigem, von Romantik und Ironie, Zufall und Kontrolle. Und so begleiten den gedanklichen Prozess des „Übersetzens“ immer wieder auch jene Prozesse, in denen Hirsch sich einer Situation direkt aussetzt, dort, wo der Perspektivwechsel über das gedankliche bzw. theoretische Spiel hinaus körperlich wird.

„Und manchmal“, so formulierte Hirsch es in einem Text zum „Tauchen im Wald in Neopren“ bereits im Jahr 2000, „gibt es einen kleinen Teich oder ein Wasserloch und dann kommen wir und machen hier einen Klub. Wir tauchen und gucken was darunter ist unter dem Wasserspiegel, also drunter unter da runter, nicht sehr tief unter der Oberfläche. (…)“

Dieses Bild eines einigermaßen deplatziert wirkenden Wassersportklubs führte zu der Videoarbeit „Unter der Oberfläche kann man Geheimnisse spüren, sie leuchten durch unsere Haut hindurch“, für die Hirsch im vergangenen Herbst mehrfach den Wassergraben des Schloss Morsbroichs durchschwamm: Blätter, Baumkronen, Landschaft ziehen in den Aufnahmen seines Tauchgangs nun im Inneren des Kunstvereins vorbei, unwirklich, von Licht umspielt, durch den Perspektivenwechsel von unten nach oben leicht entrückt, von seinem Ursprungsort draußen nur durch eine Wand getrennt, kaum zu orten, obwohl doch so vertraut.

Fast romantische Bilder, die ihren Ursprung jedoch einer zunächst als abwegig erscheinenden Handlung verdanken und damit eine Widersprüchlichkeit in sich tragen, die auch andere Experimente des Künstlers kennzeichnen und die sich auf einem schmalen Grad zwischen Ernst und Hintersinnigkeit, Spiel und Komik bewegen. Und erlaubt letzteres uns nicht, andere Perspektiven einzunehmen, eingeübten Denkmustern zu entkommen und sich in die Lage zu versetzen, neue Fragen zu stellen?

Das Thema der Landschaft zieht sich dabei wie ein roter Faden durch dieses multimediale Werk, taucht umrisshaft reduziert in den Zeichnungen auf, verfremdet im Video oder in technisierter Form als von oben gesehene Kuppeln einer Stadtlandschaft bei seinem kürzlich entwickelten Musikinstrument, dem Carbophon. Getrieben von einer schier unstillbaren Neugierde auf das, was dahinter liegen mag, „folge ich einer Idee und sehe, wohin sie mich führt, ich will sehen, wie etwas funktioniert, wie etwas sich verhält.“ In diesem Prozess der kontinuierlichen Befragung ist Kunst für Andreas Oskar Hirsch „Flucht und Reflexion zugleich“.

Susanne Wedewer-Pampus, Januar 2016

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