Interview mit Jan Ehlen, Herbst 2019
JE: Du hast ein Instrument entwickelt, das du Carbophon getauft hast und das inspiriert ist durch Musikinstrumente wie die Kalimba. Was war der Ausgangspunkt, dich diesem Vorhaben zu widmen?
AOH: Letztendlich hängt die Entwicklung des Carbophons mit Instrumenten zusammen, die ich davor schon gebaut habe, mit meinen Palmwedeln – botanisch gesprochen sind das Palmblätter, und an denen habe ich das Prinzip der Kalimba wiedergefunden. Diese Palmblätter haben Dornen, die man zupfen kann, ähnlich wie die Zungen der Kalimba, und je nach Länge und Dicke haben die Dornen eine andere Tonhöhe. Auslöser für die Idee des Carbophons war dann letztlich mein damaliger Lieblings-Palmwedel – so 2010 war das in etwa. Ich hatte den Palmwedel in einer Session aus der Hand gegeben, und dabei sind einige Dornen gebrochen, was ein kleines Drama für mich war, denn das Teil war handgepflückt, hatte einen tollen Klang und war wirklich wertvoll für mich. Das hat dazu geführt, dass ich Versuche unternommen habe, den Palmwedel zu reparieren, und weil sich das als schwierig heraus stellte, ihn eben zu erweitern. Ich habe verschiedene Materialien ausprobiert und bin dabei auf Carbon gestoßen. Das ist ein interessantes Material, es lässt sich gut handhaben und klingt gut. Daraus entstand die Idee, etwas neues zu bauen und anders zu organisieren als den Palmwedel, der ja einfach so gewachsen ist wie er ist. Also, obwohl ich auch ein Faible für die Kalimba oder Zanza und sowieso für Afrikanische Musik habe, und obwohl ich den Zusammenhang zu Instrumenten wie der Kalimba klar sehe, war der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Carbophons letztlich die Palmwedelei.
JE: Du hast im Vergleich zu den historischen Instrumenten den Klang elektronisch verstärkt?
AOH: Sonst wäre es wirklich sehr leise – es gäbe natürlich die Möglichkeit, weiter daran zu forschen und mit Resonanzkästen den Klang zu verstärken, um in sehr ruhigen Raumsituationen spielen zu können. Da mich aber die ganze elektronische Verstärkung und die Möglichkeiten von Effekten sowieso interessiert, ist das der Weg, den ich eingeschlagen habe. Das erlaubt es mir halt auch, mich wieder vom Grundklang zu entfernen oder ihn in etwas komplett anderes zu überführen, und trotzdem scheint dabei der Charakter des Instruments durch, allein schon durch die Spielweise.
JE: Ich muss da direkt an eine Skulptur von dir denken. Der „Teilchenbeschleuniger“ ist eine Arbeit, die aus acht analogen Echoeffektpedalen besteht, die miteinander so verkabelt sind, dass sie einen geschlossenen Kreis bilden. Der erzeugte Klang ist dabei nicht hörbar.
AOH: Im Grunde ist das ein gedankliches Bild anhand eines Objektes – als stumme Klangskulptur habe ich das auch mal bezeichnet. Man hört nichts, im Innern geht es aber richtig zur Sache, denn das Grundrauschen der Effektgeräte schaukelt sich zu einem stehenden Ton hoch, und der saust als Rückkopplung im Kreis herum. Ich habe parallel zur Skulptur auch ein Stück daraus gemacht, indem ich die Signale über Y-Kabel abgezweigt und dann mit dem Material weiter gearbeitet habe. Das Stück heißt genauso wie die Skulptur und ist auf meinem ersten Album „Summe 1“ zu hören.
JE: Bei vielen deiner Arbeiten fällt auf, dass sie eine auditive und visuelle Ebene haben. Du hast einige Projekte gemacht, die sich mit Morsecode befassen.
AOH: Ja, bei der Beschäftigung mit Morsecode hat das ganz verschiedene Wege genommen. Zum einen habe ich Tuschezeichnungen angefertigt, die Begriffe oder auch ganz kurze Ausdrücke wie “Oh” oder „Hoppla“ grafisch übersetzen. Oder auch ganze Sätze, “The Details Made Me Do It“ war so einer, den ich als Tableau wie eine Landkarte auf Papier gebracht habe – es gibt da immer so Verbindungslinien, die die Zeichen miteinander verbinden, die haben was kartographisches. Dann gibt es noch andere Ansätze, die ich in einem Buch veröffentlicht habe. Dafür habe ich ein Spiel begonnen, das darin bestand, Vogelstimmen nach dem Morsealphabet zu decodieren. Also wenn ein Rabe z. B. KRAH KRAH macht, dann kann ich das als zweimal lang interpretieren, das wäre dann ein „M“. Und bei einem dreimaligem KRAH KRAH KRAH wäre das ein „O“ und so weiter. Damals habe ich ein Stipendium bekommen von Sound Development City und bin mit dem Fahrrad durch Lettland, nach Riga und dann nach Helsinki gefahren und habe mich mit Fernglas, Vogelführer, Aufnahmegerät und Notizbuch herumgetrieben. Dabei ist ein leicht paranoider oder zumindest ziemlich getriebener Alter Ego entstanden mit dem Namen QRVO1. Da steckt Amateurfunksprech drin, QRV ist eine Abkürzung für „empfangsbereit“. Daraus habe ich eine Art Narrativ entwickelt, mit Notizen und Tonaufnahmen, und viel fotografiert habe ich da auch. Vorher hatte ich mehr schlecht als recht das Morsealphabet gelernt und mir auch eine Morsetaste besorgt. Die habe ich auch in der Musik eingesetzt, als Subebene, um Wörter live in ein Stück reingeben zu können – als abstrakte Signalkette und eine Art bescheidener Geheimsprache, die sich verselbständigt.
JE: Bei deinen Konzerten mit dem Carbophon verwendest du häufig Videoprojektionen. Kannst du umreißen, wie deine Videos entstehen?
AOH: Bei den letzten Konzerten waren das Videos, die ich ausgehend von Versuchsaufbauten gedreht habe, die – wenn sie einmal gesetzt sind – von sich aus Bilder generieren. In einem Fall ist das ein Skateboard-Video, dafür habe ich einen kleinen runden Badezimmerspiegel vorne auf mein Skateboard geklebt und gleich dahinter eine kleine Kamera, die in den Spiegel hinein filmt. Du siehst dann die Landschaft vorbeifliegen, den Himmel, Häuserfassaden und Bäume, unter denen ich hindurchfahre. Und man sieht auch, was sich außerhalb des Spiegels abspielt, nämlich die Straße, das Deck des Skateboards selbst und hin und wieder meinen Fuß beim Schwung holen oder auch mal meine Hand. Wenn man das Setup einmal eingestellt hat, kann man einfach losfahren, die Bilder generieren sich von selbst. Es ist eine ständige Vorwärtsbewegung, die mir gut zu passen scheint zur Musik, oder zu dem, was ich da suche. Etwas immer vorwärts treibendes, was auch mit den Loops zu tun hat, die ich gerne nutze.
Für ein anderes Video bin ich mit einem Taucheranzug und Flossen durch den Schlossgraben von Schloss Morsbroich geschwommen. Ich bin da einer alten Idee gefolgt, die darin bestand, einen Tauchclub zu gründen, der sich im Wald trifft und sich in eigentlich völlig unzureichenden Tümpeln auf die Suche macht, was es dort zu finden gibt. Dazu gibt es einen Text, den ich glaube ich mit 17 oder 18 Jahren geschrieben habe, und den ich später wiederentdeckt habe. Mit einer wasserdichten Kamera bin ich dann in Vollneopren bei ca. 6 Grad Wassertemperatur insgesamt vier Mal durch den Schlossgraben geschwommen. Dabei habe ich interessante Perspektiven gesucht, zum Beispiel von unter Wasser Richtung Himmel filmen und unter dem Herbstlaub durchschwimmen, das auf dem Wasser treibt. Für mich war das sehr erstaunlich, was aus diesem Schlossgraben rauszuholen ist – fast romantische Bilder sind das. Die Kuratorin hat mich immer mit Bananen gefüttert, bevor’s losging, denn beim allerersten Mal habe ich mir ordentliche Wadenkrämpfe eingefangen und hing für kurze Zeit auf einmal im Schlamm fest und habe geflucht. (Bananen enthalten viel Magnesium und beugen Muskelkrämpfen vor – Anm. d. Red.).
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