Interview für MOFF #7 mit Stefanie Klingemann & Anne Schloen, 2013
Andreas Oskar Hirsch (geb. 1972 in Leverkusen) hat von 1995 bis 1996 an der Université Paul Valéry in Montpellier Film studiert. 1996 ging er nach Köln und begann ein Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln. 2001 erhielt er sein Diplom von Prof. Jürgen Klauke. Von 2001 bis 2002 hatte er ein Residenzstipendium in Marseille. Er war Mitgründer des Kunstraums „Blast“ in Köln, der von 2006 bis 2009 bestand. Neben zahlreichen Workshops im Bereich der Bildenden Kunst und der Musik lehrte er zuletzt von 2008 bis 2012 an der Kunsthochschule für Medien Köln. Wir haben Andreas Oskar Hirsch in seinem lichtdurchfluteten Atelier in Köln/Deutz besucht.
MOFF: Auf deiner Webseite gruppierst du deine Arbeiten in verschiedene Bereiche: Zeichnungen, Skulpturen, in den Bereich der Performance und Musik und Fotografie. Dient die Kategorisierung lediglich dem Zurechtfinden des Betrachters?
Andreas Oskar Hirsch: Ja, hauptsächlich geht es da um den Betrachter, denn mir sind die Sachen ja bekannt. Aber es gibt da ja auch diese Rubrik mit vielleicht 20 Arbeiten, die nicht so geordnet sind. Ich weiß nicht, ob ihr das gesehen habt unter „works“, da ist alles gemischt. Und darüber hinaus ist es dann ein Zugang für jemanden, der denkt: „Okay, ich möchte mir jetzt gern die Zeichnungen angucken oder die Fotografien.“ Dann hat man da ein Ordnungssystem.
M: Und du brauchst kein Ordnungssystem für dich? Man taucht in deine Arbeit ein, und es geht um 360 Grad. Also egal, in welche Richtung man blickt, da passiert etwas, es ist aber nicht direkt ein roter Faden auszumachen. Um was geht es dir? Was ist dein Antrieb, dein Thema?
AOH: Also, ich gehe oft von Materialien aus, die mir begegnen, von Situationen, auf die ich reagiere oder von Phänomenen, auf die ich aufmerksam werde. Ich war immer schon neugierig auf ver- schiedenste Dinge und die Möglichkeiten, die man damit hat, auch auf Sprachen. Kunst und Musik sind ja eine gute Möglichkeit, um Sachen herauszufinden. Und das, was man als roten Faden bezeichnet, habe ich eigentlich immer ein bisschen schleifen lassen und mehr an die einzelnen Arbeiten gedacht.
M: Der definitive Eindruck bei der Beschäftigung mit deiner Arbeit ist: Da ist ein Typ, der ist ständig in Bewegung. Und aus dieser Bewegung heraus ist alles möglich. Als würdest du aus der Bewegung heraus deine Arbeiten generieren und je nach Situation ein Medium für deinen Ausdruck finden. Du hast ja auch von „gefundenem Material“ gesprochen…
AOH: Ja, ich denke, das trifft es recht gut, oder zumindest ist es das, was ich versuche. Dazu kommt dann ein Interesse für konzeptuelle Geschichten. Bei meinen Fotografien ist das vielleicht am klarsten sichtbar: ein Interesse daran, die Logik der Fotografie gegen den Strich zu bürsten, ihre Ränder zu bearbeiten. Bei „This Summer I Didn’t Go To China“, einer schon älteren Serie, geht es um die touristische Geste beim Reisen. Man fotografiert und nimmt quasi Beweisstücke mit. Das habe ich umgedreht, habe also Bilder gemacht von Orten, an denen ich gar nicht war.
M: Kannst du die Arbeit näher beschreiben?
AOH: Die Serie geht zurück auf eine verpasste Chinareise. Es gab den Plan, mit Echo Ho und Hannes Hoelzl nach China zu gehen. Und bei mir ist das Timing und das Geld irgendwie aus dem Ruder gelaufen, und ich musste die Reise absagen. Also, die beiden sind dann ohne mich gefahren, und ich habe angefangen, über Bergexpeditionen zu lesen und habe Landschaften aus Betttüchern, Papier, Topflappen et cetera auf dem Bett drapiert und dann teilweise auch mal auf’s Objektiv gehaucht – so ein billiger Fototrick, um Nebel zu simulieren –, um dann diese gebauten Landschaften zu fotografieren und auf Barytpapier abzuziehen. Dann habe ich die Abzüge getont, um dem Ganzen so einen nostalgischen Touch zu geben. Teilweise sind es Aufnahmen, die relativ nah dran sind an wirklichen Landschaften. Und dann gibt es viele Bilder, bei denen man schnell sieht, dass es sich um ein Spiel handelt, um eine gedankliche Reise. Und um die Verkehrung einer fotografischen Geste eben, in diesem Fall die touristische.
M: Das heißt, der Impuls war eigentlich autobiografisch?
AOH: Der Impuls war ganz klar autobiografisch, ja. Was, glaube ich, auch mit dazu geführt hat, dass das eine Arbeit ist, die für mich bis heute Bestand hat, weil sie auf sehr natürliche Weise entstanden ist. Einige Arbeiten bleiben einem ja näher als andere.
M: Vorhin hast du gesagt, du willst in deinen Arbeiten immer etwas herausfinden. Sind das dann immer Dinge autobiografischer Natur, oder ist es eine Mischung aus vielem?
AOH: Nein, ich würde nicht sagen, dass es in erster Linie um autobiografische Dinge geht. Aber manchmal kann das eben ein Auslöser sein. Aber dann geht es eigentlich immer darum, zu gucken, wo kann es jetzt damit hingehen. Also, ich glaube, es geht viel darum, tatsächlich zu forschen. Und zu gucken, welche Aussagen ich treffen kann, mit dem, was ich da rausfinde. Natürlich gibt es dann Vorlieben, z. B. Ordnung und Unordnung gegeneinander antreten zu lassen, Absurdes und Paradoxes. Versuchsanordnungen sind immer wieder wichtig. Prozesshafte Geschichten, bei denen man erst mal nicht weiß, was am Ende dabei herauskommt. Ein Beispiel ist vielleicht diese Bohrma- schine da: Teil einer Reihe von Werkzeugen, die ich per Negativ fotografiere, und wo ich dann genau mit dem Werkzeug das Negativ bearbeite, das auch auf dem Negativ zu sehen ist. Das heißt, in diesem Fall durchbohrt die Bohrmaschine das Abbild ihrer selbst.
M: Das ist von 2012?
AOH: Ja, und daneben gibt es eine schon ältere Kaffeemühle und alle möglichen anderen Werkzeuge, z.B. ein Schleifgerät oder einen Tacker. Bei der Kaffeemühle wird das Negativ in der Kaffeemühle geschreddert und dann auf den Scanner gestreut. Für mich ist das eine Form, Fotografie darüber hinauszutreiben, was ein einfaches Abbilden ist. Bei den „Photogramphotographs“ ist das auf eine andere Art und Weise auch der Fall. Wenn man nicht weiß, wie Fotogramme zustandekommen, könnte man ja auch denken, das sei alles am Rechner gemacht. Es sind aber analoge Aufnahmen, die ich mit Schablonen, Taschenlampe und anderen Lichtquellen in der Dunkelkammer grafisch erweitere. Und das hat dann auch eine andere Haptik, wenn man das bei Fotografie überhaupt so sagen kann. Was dem allem gemein ist, ist eigentlich, dass mich der Prozess interessiert. Also, für mich würde es wenig Sinn machen, das am Rechner umzusetzen und dann auszudrucken. Den Prozess aber – in die Dunkelkammer zu gehen, eine Technik zu entwickeln, die für Überraschungen sorgt, damit zu arbeiten und zu gucken, wo es einen hintreibt –, den finde ich interessant.
M: Was du jetzt beschrieben hast, das gilt auch für deine Performances, nicht? Das Umdeuten von Objekten oder Gegenständen, wie zum Beispiel diesem Palmenwedel, aus dem du ein Instrument baust. In den Musikperformances arbeitest du auch mit dem Zufall. Am Ende steht die Performance dann aber für sich.
AOH: Ja, der Zufall spielt sicher auch in der Musik eine Rolle. Eigentlich eher Aleatorik, also so eine Art Zufall in Grenzen vielleicht. Improvisation ist wahrscheinlich auch treffend. Die Musikperformances sind für mich in den letzten Jahren sehr wichtig geworden, die Musik beansprucht mittlerweile einen großen Teil meiner Zeit und Energie. Vielleicht ist das auch so was wie eine Rückkehr. Also zu einer Beschäftigung wie die, die ich als Teenager hatte. Da habe ich viel Musik gemacht. Und der Palmwedel ist für mich schon so eine ganz zentrale Sache.
M: Hat der Palmwedel auch eine symbolische Bedeutung?
AOH: Nicht im christlichen Sinne jedenfalls. Da bin ich in letzter Zeit immer wieder drauf angesprochen worden, aber damit habe ich nicht viel am Hut. Es hat vielleicht insofern eine symbolische … symbolisch weiß ich nicht, aber es hat eine Bedeutung insofern, als dass es direkt gekoppelt ist an Natur und vielleicht auch an ein romantisches Bild von Natur, das ich als Ausgangspunkt nehme und dann aber auch wieder auflöse. Es gibt Verbindungen zu Musik aus Indonesien, Bali, Gamelan, auch afrikanische Musik, also auch etwas, was einer Trance-Idee ein Stück weit verbunden ist. Es hat sicherlich etwas für mich Bedeutungsvolles allein dadurch, dass es ein selbst erfundenes Instrument ist, für mich ein rich- tiges Heureka. Und das es dann auch zu spielen gilt. Jeder Palmwedel ist ja ein bisschen anders gewach- sen. Da musst du gucken, was gut klingt und wo was ist. So ähnlich, als würdest du Klavier spielen und die Tasten sind ab und an woanders. Andererseits spiele ich natürlich keine Fugen oder so was, son- dern eher einfache Sachen. Und da ist schon etwas … Ich weiß nicht, ob das sinnbildlich steht für meine Arbeit, aber es gefällt mir, immer wieder neu zu schauen: Wie kann ich da an der Stelle weitergehen? Was kann ich da rausholen, was vielleicht so noch nicht gehört worden ist oder noch nicht gesehen wurde? Außerdem bin ich Fan von Abenteuergeschichten. Herman Melvilles „Typee“ zum Beispiel, sein erster Roman, der auf Nukuhiva in Polynesien spielt, wo Melville selbst einige Zeit mit Kannibalen gelebt hat. Er wird da gut verpflegt und bekommt dann natürlich Angst, dass er gemästet wird. Großartiger Roman. Oder Arthur Gordon Pym von Edgar Allan Poe. Unmögliche Längen- und Breitengrade am Südpol. J. G. Ballard ist auch wichtig. Die Natur, die auf völlig irre Weise zurückschlägt, kristallisierende Urwälder und singende Pflanzen. Das sind alles Momente, die mich beeindrucken und die in irgendeiner Art und Weise vielleicht auch mit dem Palmwedel und der damit verbundenen Elektronik mitschwingen.
M: In deinen Arbeiten gibt es oft einen „fantastischen“ Moment. Zum Beispiel bei der „Lebensversicherung für Hunde“. Als Betrachter hat man direkt ein Bild im Kopf, das man weiterspinnt zu einer Geschichte. Da ist der Stock, der muss geführt werden, von einem Spaziergänger zum Beispiel. Und dann sind da drei Löffel dran. Und auf jedem Löffel ist Hustensaft. Das heißt, vielleicht für drei Hunde. Dann stellt man sich diese drei Hunde vor, die um diesen Stock rumscharwenzeln und versuchen diesen Hustensaft zu schlucken. Und dann fragt man sich: Warum braucht der Hund Hustensaft? Ist der vielleicht krank?
AOH: Sehr schön! Also, wenn das bei dir passiert: Bingo!
M: Kannst du kurz beschreiben, wie solche Objekte entstehen?
AOH: Es sind eigentlich Collagen. Mitunter von Dingen, die ich aus irgendeinem Grunde behalte, nachdem ich sie gefunden habe und es sich herauskristallisiert, dass die Verbindung mit einem anderen Objekt halt zu etwas füh- ren könnte. Bei den Flossen waren es einfach diese Spiegel, die ich mal vom Sperrmüll mitgenommen habe. Und da sind dann diese Flossen … kombinieren wir das mal … ein klarer Gedanke entsteht, und dann gehört das einfach gemacht. Ich mache ja nicht wirklich viele Objekte. Also, wenn du das mal runterrechnest, ist das, glaube ich, gerade mal eines pro Jahr oder so.
M: Echt? Jetzt gerade stehen hier drei, vier Stück.
AOH: Ja, weil ich hier jetzt ein bisschen Platz habe und die Dinge sehen will, auch in Verbindung mit den Zeichnungen. Das da ist eine Arbeit, von der es weitere geben wird. „Memorystick“ heißt das. Auf der Schallplatte befindet sich Morsecode, wie auch auf den Zeichnungen dort. 2011 habe ich Morsecode gelernt, kann es jetzt so halbwegs gut. Da links hat man z.B. „Uff“ – di-di-dah di-di-dah-dit di-di-dah-dit, das ist ein „U“ und Doppel-„F“. Das da in der Mitte, das ist „Hoppla“. Also ein „H“, di-di-di-dit, dann drei mal lang für „O“, dah-dah-dah, dann zwei mal di-dah-dah-dit für zwei „P’s“, dann di-dah-di-dit für „L“ und di-dah – „Hoppla“. Und hier auf dieser Schallplatte, das ist so ein Vinyl-Dubplate – du kannst ja jetzt seit einigen Jahren Einzelstücke anfertigen lassen –, darauf befindet sich nur das Irrungszeichen. Wenn du dich vermorst, dann musst du das Irrungszeichen dransetzen, und das Irrungszeichen besteht in achtmal kurz, also di-di-di-di-di-di-di-dit, und dadurch wird dann der letzte Buchstabe annulliert und ersetzt durch den darauffolgenden. Ich bin mir jetzt gar nicht so sicher, wie es damit losging, aber es gibt eine Menge schöner Aspekte. Der Ton spielt mit rein, und Sprache auch. Botschaften oder Laute werden zu grafischen Elementen, und Signalwege gehen da durch. Oder Umrisslinien von Kontinenten, die sich längst verschoben haben. Zur See gibt es wieder eine Verbindung. Im Grunde ist Morsecode die erste Form der digitalen Sprache, die heute ja alles immer stärker prägt. Die Zukunft der Vergangenheit, mittlerweile eine fast tote Sprache. Etwas Geheimes schwingt auch mit, und natür- lich ist Morsecode mit Situationen verbunden, in denen Kommunikation schwierig ist, Notsituationen. Die beiläufigen Äußerungen wie „Hoppla“ konterkarieren das. Und bei diesem „Memorystick“ da, der nicht umsonst diesen Namen trägt von einer Einheit, die wir so in die Tasche stecken und auf die man mittlerweile zig Gigabyte draufkriegt, da verhält es sich genau umgekehrt. Also, da ist extrem wenig Information drauf, aber sie wird lange halten. Dann diese Kombination von einem Treibholz – also einem Fundstück, das den Fluss runtergetrieben ist – in Verbindung mit einer codierten Botschaft, die erst einmal nicht zugänglich ist, die sich aber über den Titel dann vermittelt. Also so eine Art kleiner Container, ein Informationscontainer. Und ich glaube, wenn ich meine Objekte da so richtig einordne, dann ist das eigentlich eine ganz klassische Herangehensweise der Collage, wie im Surrealismus auch. Von Objekten, Materialien, die man verbindet, und die erst einmal nicht zusammengehören. Eine ganz klassische Geschichte eigentlich. Es ist aber eben tatsächlich so, dass relativ viel Zeit drinsteckt. Warst du bei Jagla, hast du die Ausstellung gesehen?
M: Ja. Das war die Arbeit mit den Gummireifen bis zur Decke, oder?
AOH: Genau. Also, das ist ein Ding, das ich mal 2005 vorgeschlagen habe, für eine Ausstellung in Berlin – wobei das damals noch in der Waagerechten sein sollte. Das hat da nicht geklappt, und dann hat die Idee ziemlich lange geschlafen. Und als sich die Aus- stellung bei Jagla ergeben hat, hat der Raum einfach sehr gut gepasst. Gerade auch mit dieser Stuckrosette unter der Decke. Aber … wie hast du das vorhin gesagt: … „Fantasie“?
M: Den „fantastischen“ Moment?
AOH: Ja, genau, den „fantastischen“ Moment. Das ist schon ganz klar etwas, was ich suche. Ich würde mich da tendenziell jedenfalls schon als Eskapisten bezeichnen. Für mich hat Kunst und Musik viel damit zu tun, Welten zu erfinden, oder Systeme, und darin einzutauchen, sich wegtragen lassen.
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