Volker Pantenburg: Off Location / On Location (dt.)


Volker Pantenburg
Off Location / On Location
(english version here)

Wer von Fotografien spricht, meint mit Motiv meist eine Verteilung von Licht und Schatten auf dem Papier, von Formen im Raum. Aber zu jedem Bild lässt sich auch ein Motiv des Fotografen finden, ein Wunsch oder eine Absicht. Das Motiv eines Fotos findet sich daher ebenso sehr vor der Kamera wie dahinter, und auch in zeitlicher Hinsicht hat man es vor und nach dem Druck auf den Auslöser mit Motiven zu tun. Jedes Bild kann als eine Auseinandersetzung zwischen beiden Ebenen begriffen werden, als ein mehr oder weniger gelungener Kompromiss zwischen dem Fotografen und der Welt, zwischen einem subjektiven und einem objektiven Motiv. Die Kamera steht in dieser Anordnung für den Versuch, das eine mit dem anderen zu vermitteln, Außen und Innen ineinander zu verschränken. Natürlich können die Motive des Fotografen ganz unterschiedlicher Natur sein. Im Fall der Reisefotografie dienen die Bilder meist der Selbstvergewisserung. Sie bezeugen, vor Ort gewesen zu sein und möblieren den Gedächtnisraum mit Momentaufnahmen einer Vergangenheit, die als Gegenwart für die Zukunft gerettet werden soll. Zunächst sagen fast alle Reisefotografien, abseits von jedem ästhetischen Anspruch: Ich war da. Oder, schon mit Blick auf die Zeit, in der das Bild angeschaut wird: Ich werde da gewesen sein.

Aber was passiert, wenn genau diese Voraussetzung nicht gegeben ist? Wenn die chinesischen Berge in ungefähr achttausend Kilometern Entfernung zur Landesgrenze aufgenommen werden? This Summer I Didn’t Go To China: Plötzlich fällt der bezeugende Anspruch aus den Bildern heraus und spielt keine Rolle mehr. Die Fotos artikulieren vielmehr den Verdacht, dass die Fotografie von der Anwesenheit des Fotografen vor Ort unabhängig sein könnte. 2001 liegt China deshalb im Rheinland. In einer Kölner Wohnung entstehen Bilder von weit weg: Eine in starken Kontrasten abgelichtete Topografie des Traumes, Berglandschaften im Bett. Modelle, Studien, Faltenwürfe, textile Tektonik. Mit den Motiven, die auf diesen Bildern zu sehen sind, kann sich die fernöstliche Realität nicht messen; auf den Bildern sind nicht Berge, sondern achttausend Meter hohe Phantasiegebilde abgebildet. My own private Himalaya (das Sanskrit-Wort Himalaya heißt übersetzt Schneewohnung).
Zwischen den chinesisch-rheinischen Berglandschaften und den am Gelben Meer gefundenen Aufnahmen von Mr. Double Double und seinen Gesinnungsgenossen lässt sich eine fiktive Verbindungslinie ziehen. In beiden Fällen sehen wir einen Raum, in dem die Bindungen der Logik zugunsten einer anderen Form von Verknüpfung aufgehoben sind. Die Schwerkraft hält hier Personen so wenig am Boden wie ganze Berge; die Dinge und Menschen sind dieselben und zugleich anders, fremd und bekannt. Das Schweben gehört zum guten Ton.

Anders als die Landschaften, die im Sommer 2001 als Positivbilanz einer verpassten Reise entstehen, sind die ein Jahr später gefundenen Bilder auf die Ansprüche eines typischen Touristen zugeschnitten. Ihr Charakter ist dabei allerdings eigentümlich verschoben. Der Angst davor, nicht wirklich da zu sein, wird hier – übertrieben, fast unheimlich – mit einer Verdopplung begegnet, mit einer trickreichen fototechnischen Beschwörung. Nicht nur Ich war hier, sondern Ich und Ich. Die Verdopplung der Realität, die Fotografien ohnehin tagtäglich vornehmen, wird hier auch innerhalb der Bilder zum Prinzip erhoben und dadurch zugleich unterlaufen. Man hat das ungute Gefühl, dass hier 1+1 allenfalls ein halb ergibt. Die abgebildeten Personen: duplizierte Unbekannte, auf der Durchreise durch eine unwirkliche Gegend. Und während die Porträtierten die Fotos vielleicht längst im heimischen Wohnzimmer platziert haben, bleiben die Originale am Tatort zurück. Als namenlose Negativstreifen, Ausschussware eines geschäftstüchtigen Fotografen, werden sie weggeworfen und verschwinden allmählich unter der Oberfläche des Strands. Found footage – footprints – prints: Bildspuren im Sand, der als Sinnbild der Zeit durch die verjüngte Stelle im Glas rieselt. Die Sandkörner haben ihrerseits ebenfalls Spuren im Bild hinterlassen. Zusammen mit den Salzkristallen des Meerwassers – eine Erinnerung daran, dass Salz für jeden fotografischen Entwicklungsprozess notwendig ist – wirken sie zersetzend, verändernd, künstlich alternd und zugleich neu bildend auf das Negativ ein. Wie lange haben die Negative da wohl schon gelegen? Mir gefällt der Gedanke, dass einige davon gleichzeitig mit den heimischen Himalaya-Fotos entstanden sein könnten. Zwei Personen, die nichts von einander wissen und sich niemals kennen lernen werden, deren Blicke sich aber in einem weggeworfenen Negativstreifen kreuzen, drücken in einem Augenblick, mit nichts als der Erdkugel zwischen sich, auf den Auslöser. Ein gefrorener Moment, dann Stille. Die Welt dreht sich weiter, als wäre nichts gewesen.

Volker Pantenburg, Berlin 2008

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